Trainingslager in Ängby, Schweden 2025

Schweden – ein Land voller Elche, Einrichtungsideen und ABBA – ist zugleich die Geburtsstätte des Tischtennis-Mozarts. Was Jan-Ove Waldner und CD gemeinsam haben, welche Lieder im Camper gehört wurden und warum Pasta eine tiefe existenzielle Krise ausgelöst hat, erfahrt Ihr in diesem Bericht.

 

Vorab aber zunächst die Basics: Anfang August machte sich ein kleines Expeditionsteam (bestehend aus CD, Kate, Felix, Lentzi, Louisa, Lea und Nick) auf den Weg in ein neues Trainingslager. Das Ziel: Stockholm. Durch Kontakte zum Headcoach von Ängby SK, einem der besten schwedischen Tischtennisvereine, war dies möglich. Deren Headcoach Martin hatten wir in Flensburg kennengelernt – und er war es auch, der uns zum Trainingslager nach Stockholm eingeladen hat.

Und das sollte es in sich haben: zwei lange Trainingseinheiten pro Tag plus Krafttraining – begleitet von hoch ambitionierten Trainern aus verschiedenen Ländern, die ein Camp mit Fokus auf Beinarbeit, Sicherheit und Qualität organisierten. Alle Trainer hatten ihre eigenen Ideen, Methoden und Schwerpunkte. Diese neuen Impulse waren nicht nur für CD, Nick und Kate spannend, sondern auch für die knapp 160 Teilnehmer:innen, die nach Spielstärke in Gruppen eingeteilt und jeweils unterschiedlichen Coaches zugewiesen wurden.

Die Spieler:innen kamen, wie die Trainer, aus den verschiedensten Ländern: Schweden, Dänemark, Finnland, Lettland, Estland – aber auch aus Frankreich, Spanien, Luxemburg, Belgien, Deutschland und Großbritannien. Da die Trainingsgruppen zu unterschiedlichen Zeiten arbeiteten, bestand immer die Möglichkeit, bei anderen zuzuschauen und von ihnen zu lernen.

Nach fünf Tagen intensiven Trainings folgten noch zwei volle Turniertage. Es ist extrem viel passiert: Kate und Lea haben zum Aufwärmen ihrer Gruppe vorgetanzt, Felix hat sein Turnierstartgeld erspielt, Nick und Lentzi haben um die besten Kunstsprungfiguren beim Baden konkurriert und Louisa, die nicht nur durch lustige Gesichtsausdrücke auffiel, ist dem letzten Platz in einem dramatischen Finish beim Minigolf noch von der Schippe gesprungen.

All diese Geschichten verdienen es, erzählt zu werden. Allerdings müsste der WTB mir dafür ein Sonderheft zur Verfügung stellen. Um auch das Lektorat (Danke, Katha!) zu unterstützen, beschränke ich mich auf drei ausgewählte Kurzgeschichten.

 

Ein Lebenstraum in Rot und Gelb
Jedes Jahr aufs Neue höre ich in Flensburg die gleichen Fragen von Christopher:
„Kannst du mal Ängby fragen, wo sie ihre Trikots herhaben? Die sehen so schick aus. Wie kann es sein, dass sie ihre Trikots so leicht nachbestellen können? Normalerweise verschwinden Trikots nach ein paar Jahren aus dem Sortiment. Haben die da einen besonderen Deal? So ein Trikot kannst du mir mal besorgen, ich würde ihnen auch eines meiner Trikots anbieten. Eine solche Ehre können die ja nicht ausschlagen.“

Christopher hat aber auch recht – die Trikots von Ängby sind wirklich extrem schick. Hier trifft ein schöner Weinrot-Ton auf ein perfekt passendes Gelb. Die Sponsoren überlagern das Trikot nicht, sondern ergänzen es harmonisch. Dieses Trikot sieht seit 1952 unverändert gut aus. Legenden wie Jan-Ove Waldner und Mikael Appelgren haben bereits in Rot und Gelb für Ängby aufgeschlagen.

Dass dieses Trikot bis heute unverändert ist, verdankt Ängby vor allem seiner lokalen Machtstellung und seinen guten Kontakten. Butterfly produziert es exklusiv in dieser Farbgebung. Martin erzählte mir dazu, dass, falls Butterfly sich jemals weigern sollte, genau dieses Trikot herzustellen, Ängby eben einfach zu Stiga wechseln würde. Doch Butterfly will Ängby – und nimmt dafür sogar Verluste in Kauf.

Genau dieses traditionsreiche Trikot versuche ich nun schon seit drei Jahren für CD zu organisieren. Bisher ohne Erfolg. Im Vorfeld dieser Reise hat Christopher mich noch einmal daran erinnert, unbedingt einen Trikottausch zu arrangieren. Und dieses Mal kann ich verkünden: Die Übergabe hat endlich geklappt! Als Christopher sein Ängby-Trikot bekam, strahlte er über das ganze Gesicht. „Ein Lebenstraum in Rot und Gelb“ sei ihm heute erfüllt worden. Außerdem kündigte er an, das Trikot nie wieder ausziehen zu wollen. Ob Martin, der im Gegenzug eines von CDs Trikots geschenkt bekam, wohl das Gleiche über sein neues Trikot sagt? Ich glaube ja.

Als Vermittlungsgebühr habe auch ich ein Ängby-Trikot bekommen. Und Kate, die sich mit einer Ängby-Spielerin angefreundet hat, hat sich ebenfalls eines ertauscht. Jetzt, da drei WTBler dasselbe Trikot wie Jan-Ove Waldner tragen, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis Jan-Ove auch ein WTB-Trikot haben will. CD wäre für einen Tausch sicherlich zu haben.

 

Pastarök

Ragnarök beschreibt in der nordischen Mythologie das Schicksal der Götter und den Untergang der bekannten Welt. Eine Reihe katastrophaler Ereignisse -darunter der Tod von Odin, Thor und Freyr- führt ins Chaos. Zugleich markiert Ragnarök auch den Beginn einer erneuerten Welt, die aus den Ruinen der alten hervorgeht.

Ragnarök ist fast eingetreten, als ich Nudeln für alle kochen sollte. Das erste Vorzeichen, das in der Mythologie zu Ragnarök führt, ist der Fimbulwinter, ein gewaltiger Winter, der drei Jahre lang andauert und Chaos und Hunger bringt. Chaos und Hunger herrschten auch, als alle nach einer besonders langen Trainingseinheit zurück zum Camper gekommen sind. CD und ich mussten allerdings schnell zu einer Trainersitzung, weswegen wir nicht viel Zeit hatten, um zu kochen. Für dieses Szenario gab es einen Notfallkochplan: Pasta mit Pesto.

Wie bei Ragnarök begann der Untergang schleichend. Jeder hat seine eigene Vorstellung von Pasta: einige Menschen mögen es gerne al dente und andere lieber zerkocht. Al dente bezeichnet eine Pasta, die beim Reinbeißen einen perfekten Biss hat, ohne zu weich oder breiig zu sein. So verleiht sie einem Gericht, dass oft nur aus Soße besteht, Textur. Ich würde behaupten, dass eine Pasta die al dente gekocht wurde, beim essen Spaß macht. Übersetzt heißt Al dente sogar „Für den Zahn“, weil sie für Menschen gekocht wurde, die noch alle Zähne haben. Eine solche Pasta habe ich, meiner Meinung nach, auch gekocht. Leider stand ich mit dieser Meinung allein da. [Hier Platz für Kates Gegendarstellung]

Im weiteren Verlauf von Ragnarök zerreißt der Wolf Fenrir seine Ketten und die Midgardschlange Jörmungandr erhebt sich aus dem Meer, um Himmel und Erde zu vergiften. Ähnlich wie diese Schlange wurde ich angeschaut als die anderen meine Pasta probierten. Ich habe selten in so angewiderte Gesichter geblickt. Ob ich diese Pasta überhaupt gekocht hätte, wurde ich von einer Seite gefragt, andere gaben mir den Tipp beim nächsten Mal doch einfach sofort trockene Pasta zu servieren. Zyankali sei ähnlich genießbar hieß es. Nun begann der Zerfall.

Ein sicheres Zeichen für Ragnarök ist der Zerfall der sozialen Ordnung, in der Moral und Treue nichts mehr gelten. In der Sage erhebt Surt sein flammendes Schwert und setzt die Welt in Brand. Himmel und Erde gehen in Feuer unter und das Meer steigt und verschlingt alles. Als ich gebeten wurde die fertig gekochte Pasta zurück ins Kochwasser zu kippen, damit sie bis in die Breiigkeit, oder wie die anderen es bezeichneten „Essbarkeit“, weiter zu kochen, war dieser Punkt des sozialen Ordnungszerfalls und des inneren Weltbrandes fast erreicht. Von Trauermusik begleitet und unter größtem Protest musste ich mich allerdings geschlagen geben. Die Welt wie ich sie kannte starb, als ich die Pasta zurückgießen musste.

Doch wie in der Mythologie, blieb es nicht beim Untergang. Ragnarök beschreibt nicht nur das Ende der Welt, sondern auch den Neuanfang.  Die Erde erhebt sich wieder aus dem Meer, die überlebenden Götter kommen zurück und zwei Menschen, Líf und Lífthrasir, retten den Weltenbaum Yggdrasil und bevölkern die Erde neu. Außerdem steigt eine neue Sonne, die Tochter der alten, über dem Himmel auf. Dieser Neubeginn begann als CD und ich zum Trainermeeting mussten. Dort konnte der geschlagene Koch ein bisschen Frieden mit der Welt machen, indem er ein paar Stücke Pizza ergattern konnte.

Und auch bei der Gruppe herrschte Frieden. Die Pasta, die im Kochwasser weiter gekocht wurde, kam so gut an, dass Kate eine zweite Packung kochen musste. Die Geschichte von Ragnarök beschreibt den Untergang der bekannten Welt und gibt Hoffnung auf Erneuerung und Wiedergeburt. Allerdings in Zukunft ohne Pasta.

 

Hommage an den Camper
Bei unserer Abfahrt war der Camper stadtweit bekannt. Schnell wusste jeder, wer die Leute im Camper waren. Wurden wir zu Beginn noch etwas schief angesehen, so kamen am Ende der Reise fast täglich Menschen auf uns zu, um einen Blick ins Innere zu werfen. Zu Recht!

Der Camper, den uns Rüdi netterweise geliehen hatte, war nicht nur ein Auto, das die halbe Gruppe von Hamburg nach Stockholm und wieder zurück transportierte – er war viel mehr. Auf den Fahrten ermöglichte er nicht nur die schönsten Fotos der Storebeltbrücke bei Sonnenuntergang, sondern lehrte Kate, die kurz vor Stockholm ihre Fahrprüfung bestanden hatte, auch, wie man bei starkem Seitenwind sicher fährt.

Unser Leben außerhalb der Halle drehte sich in großen Teilen um unser mobiles Wohnzimmer. Tagsüber ermöglichte er Ausflüge: So ging es für die Mädels am Mittwoch nach Stockholm, wo sich der Camper in einen Reisebus verwandelte und dringend benötigte Abwechslung zum Hallenalltag bot. Er verlieh uns außerdem die Flexibilität, spontan zum Badesee zu fahren, während die anderen trainierten. Dank seiner schnittigen Form passte er sogar perfekt zwischen Dixi-Klos und Sonderparkplätze.

Am Abend war er der Dreh- und Angelpunkt unserer „Familienzeit“. Vor dem Camper wurde gekocht – mal ein Curry, das das Kompliment „besser als von meiner Mutter“ entlockte, mal eine Pasta, die kleine Krisen auslöste (siehe Text). Vor dem Camper wurde nicht nur gekocht und gegessen, sondern die Fläche war auch unser Dancefloor und Spielplatz. Dort fanden die legendärsten Runden „Hitster“ statt, die Bromma im Jahr 2025 gesehen hat. Auf der Tanzfläche liefen Hits von DJ Bobo, Madonna oder James Blunt. CDs Lieblingslied der Reise war allerdings „Die weißen Tauben sind müde“ von Hans Hartz – ein Antikriegssong mit hartnäckigem Ohrwurmcharakter. Nach dem täglichen Hören waren allerdings nicht nur die weißen Tauben, sondern auch die Kinder, müde. Für alle, die einen kleinen Powernap brauchten oder abends schlafen wollten, ließ sich der Camper mit ein paar Handgriffen in ein Bettenlager verwandeln.

So war der Camper nicht nur Wohnzimmer und Küche, sondern auch Schlafzimmer in einem. Durch Flensburg sind wir es ja bereits gewohnt, Trends zu setzen (siehe Artikel der letzten drei Jahre). Deshalb sind wir uns sicher, dass wir auch diesmal wieder Menschen inspiriert haben, im nächsten Jahr etwas Neues auszuprobieren – alles dank Rüdis Camper.

 

Das sind nur drei der unzähligen kleinen Geschichten, die wir in Stockholm erlebt haben. Neben den vielen Momenten in der Halle waren es vor allem die kleinen Augenblicke, die in Erinnerung bleiben – zum Beispiel, vor der Halle bei perfektem Sonnenuntergang zu kochen.

Ich bedanke mich bei allen Teilnehmerinnen, die mutig und spontan genug waren, mitzufahren und diese Reise unvergesslich zu machen. Ein herzliches Dankeschön auch an Martin und den Ängby SK für die Einladung und die Gastfreundschaft.

Wir freuen uns schon auf das nächste Jahr – dann sogar in einheitlich rot-gelben Trikots.

 

 

Ein Bericht von Nick Rollenhagen


Diese Reise fand mit Unterstützung der Freien und Hansestadt Hamburg und der Hamburger Sportjugend statt. Wir bedanken uns recht herzlich.